Indien lässt nicht so schnell los!

Es ist halb sechs Uhr morgens. Unser Taxifahrer hängt schweisstriefend unter der Motorhaube und werkelt mit einem Messer am Zündkabel rum. Doch sein Gefährt will nicht mehr anspringen. Uns wird langsam klar, weshalb der Rezeptionist im Hotel uns schon vier Stunden vor dem Abflug ein Taxi bestellen wollte. Wir hatten ihm das ausgeredet - drei Stunden würden lange reichen. Uns bleiben noch zwei Stunden bis zum Abflug zurück in die Schweiz. So schnell will und wird uns Indien wohl nicht los lassen.

 

Nach den eher anstrengenden Wochen im Norden und in Radjasthan wollten wir den letzten Abschnitt unserer Reise etwas ruhiger angehen. Wir verbringen erst einmal eine Woche bei unserem Freund Ulysses in Sera. Dies war ursprünglich eine Siedlung aus Tibet geflohener Mönche. Heute beherbergen die verschiedenen Klöster und Dörfer mehrere Tausend Personen. Ulysses verleiht dort in seinem Unterricht buddhistischen Mönchen einen Einblick in unser wissenschaftliches Denken, das von der buddhistischen Lehre doch ein ganzes Stück entfernt ist. Er profitiert dann auch gleich von Karins Anwesenheit und spannt sie für eine Lektion Biologie ein - Stärkekörner in der Kartoffel unter dem Mikroskop anschauen.

Buddhistische Mönche beim Debattieren

Die Buddhas im Golden Temple von SeraUns Neuankömmlinge fasziniert neben den prunkvollen Tempeln, wie wir sie ja auch schon im Norden (Ladakh) gesehen hatten, v.a. die abendliche Debattierstunde, während der die Klosterschüler sich gegenseitig das frisch Gelernte abfragen. Hunderte, ja tausende Stimmen ergeben ein weit hin hörbares Stimmengewirr, das lediglich vom Händeklatschen der abfragenden Mönche unterbrochen wird. Die genaue Bedeutung der Gesten und Gebärden haben wir leider nie ganz verstanden. Aber es geht grundsätzlich darum, dass sich zwei Mönche gegenseitig mit Fragen rund um die buddhistische Lehre herausfordern, um das Wissen spielerisch zu festigen.

Auch tagsüber ist die Luft stets vom Gemurmel betender und repetierender Mönche erfüllt. Doch wir erleben diesen Ort als ruhig und erholsam. Die akustische Untermalung des Alltags hat nichts zu tun mit dem Lärm der hektischen Städte, wo man dem aggressiven Hupen des Verkehrs hauptsächlich entfliehen kann, indem man sich in einen vom Marktgeschrei der zahllosen Händler erfüllten Markt begibt. Wir erholen uns wunderbar in dieser ländlichen Umgebung und ziehen schon bald wieder los, um etwas mehr vom tropischen Süden Indiens zu sehen und zu erleben.

Die chinesischen Fischernetze in KochiUnsere erste Station am Meer ist Kochi im Bundesstaat Kerala. Stundenlang schauen wir in der Dämmerung den Fischern zu, wie sie mit ihren "chinesischen" Netzen ihre bescheidene Beute an Land ziehen. Eine mehrköpfige Mannschaft wird benötigt, um die rechteckig aufgespannten Netze über einen Hebelmechanismus mit Seilen aus dem Wasser zu hieven. Und oftmals besteht der ganze Fang aus nur wenigen Fischen. Doch offenber lohnt sich das Geschäft. Die Tiere können gleich vor Ort gekauft und in einem Restaurant zum Kochen gegeben werden.

Eine weitere bekannte Attraktion Keralas sind die traditionellen Tanztheater, die Kathakalis. Schon Stunden vor der Aufführung darf man den Artisten bei ihrer aufwändigen Schminkarbeit zuschauen. Da werden die Gesichter vollflächig mit natürlichen Farben eingedeckt, mit Reispappe und Karton die Mundpartie vergrössert und voluminöse, üppig paillettierte Kostüme angezogen.

Kathakali-Tänzer beim Schminken Katakali-Tanzauffuehrung in Kochi (Kerala)

Die Aufführungen erzählen hauptsächlich religiöse Szenen. Jede Bewegung, jeder Gesichtsausdruck ist klar definiert. Augen rollen, Brauen zucken, und schon kennt der Eingeweihte die Gemütslage des dargestellten Gottes oder Dämons. Begleitet wird die Aufführung von Trommeln und Gesang. So eindrücklich die Mimik und der Tanz sind, Michis Hunger ist stärker. Angekündigt war eine Vorstellung von halb sieben bis acht Uhr. Genügend früh also, um danach essen zu gehen, dachten wir. Doch unser Zeitverständnis ist halt noch immer zu schweizerisch. Gegen neun drängt uns Magenknurren zum Aufbruch. Die Vorstellung würde noch eine Stunde länger dauern. Und später lesen wir dann gar irgendwo, dass dies die abgekürzte Touristenversion war. Das Original einer solchen Darbietung dauert die ganze Nacht...

Frauen beim Sortieren der Tee-ErnteEin Ausflug in die Hügelzüge der Western Ghats bringt uns Migros "Sir Tetley" näher. In der Umgebung von Munnar flanieren wir durch Teeplantagen ohne Ende. Hier werden Schwarz- und Grüntee angebaut, die später weltweit unter der uns wohl bekannten Marke verkauft werden. Im Fabrikladen werden dann auch stolz die Ausweise einer schweizerischen Zertifizierungsstelle für Bio-Anbau präsentiert. Der Betrieb (und damit beinahe das ganze Dorf) gehört den Tatas, einer der erfolgreichsten Industriellenfamilien Indiens. "Tata Tea" sei der weltweit grösste Tee-Produzent. Daneben dominiert der Konzern die indische Bus- und LKW-Produktion, ist in Stahl, Telekommunikation, Softwareproduktion, Kühltechnik und zahlreichen anderen Sparten tätig und unterhält ganz nebenbei eigene Hochschulen, Kulturpaläste und Sportanlagen.

Wir schauen Frauen und Männern zu, wie sie teilweise von Hand, teilweise mit einer Art Heckenschere die einzelnen Blätter der Büsche ernten und später verlesen. Sie tun dies für einen Tageslohn von knapp zwei Franken.

Michi und Strandferien - kann das gut gehen?!? Bis anhin für ihn unvorstellbar. Doch wir wollten noch etwas Ferien in den Ferien machen, Karin träumte gar vom Tauchen. Also verbrachten wir ein paar paradiesische Tage an der Om-Beach und später in Goa.

Die Om-Beach

Ein Fischer an Goas StrandMichi faszinierte das Spiel mit den Wellen bald derart, dass er schon am ersten Tag wohl eher Stunden als Minuten im Wasser verbringt. Dies lehrt ihn einiges sowohl über den sichersten Ort, um die lange erwartete Killerwelle zu überleben, als auch den Ort der Entwicklung der wasserfesten Sonnencrème: Ersteres findet unter Wasser (vor der Welle abtauchen), letzteres wohl nur in der Marketingabteilung statt. Auf jeden Fall hat er, Sonnencrème mit "12h Schutz" und "wasserfest"igkeit hin oder her, schon am ersten Abend einen kräftig gebackenen Schulterbereich. Er begibt sich vom dritten Tag an nur mehr mit T-Shirt ins Wasser. Karin fröhnt hingegen erfolgreicher dem Körperkult. Mit dem ersten Bikini ihres Lebens ausgestattet verfügt sie schon bald über den Teint, mit welchem sie in den nächsten nebligen Monaten Eindruck zu machen hofft.

Boot am Strand von GoaIn einer aus Bambus und Palmblättern konstruierten Hütte zu wohnen, und den Tag damit zu verbringen, sich zwischen zwei Wellen über die vergangenen Wochen, Gott und die Welt zu unterhalten, wäre ja nur halb so entspannend, wenn die Küche nicht stimmte. Doch auch in kulinarischer Hinsicht werden wir in Goa verwöhnt wie selten zuvor! Mit Sicht auf Fischer, Flut und Sonnenuntergang verbringen wir Stunden die Menükarte studierend und schlemmend im kleinen Restaurant unseres "Cocohut" Guesthouses an der Benaulim-Beach.

Als wollte sie uns den Abschied von diesem Land noch schwerer machen, betreut uns unsere Gastgeberin Wilma mit einer Herzlichkeit, wie wir es bis dahin noch in keiner Unterkunft erleben durften. Als sie uns beim Abschied nach einer herzhaften Umarmung fragt, ob wir nächstes Jahr wieder kämen, meint man, sie würde sich echt darüber freuen. Doch versprechen können wir leider nichts...

Michi geschafftKarin happyEtwas mehr als drei Monate waren wir in Indien unterwegs. Unsere Reise war geprägt von Kontrasten, von Hochs und Tiefs. So gewaltig gross dieses Land ist, so bunt ist die Mischung von Landschaften, Leuten und Kulturen. Wir sahen schneebedeckte Gipfel des Himalayas ebenso, wie die trockene Sandwüste in Rajasthan, begegneten buddhistischen Mönchen und nervtötenden Rickshawfahrern, assen wunderbar an Ständen am Strassenrand und ganz übel in üppigen Touristenschuppen, sahen grosse Kühe und kleine Elefanten. Andere Kontraste sind schmerzlicher und schwierig zu handhaben, allen voran die Konfrontation mit der Armut des Landes.

Leider konnten wir euch von dieser bunten Mischung von Eindrücken nur wenige weitergeben. Aber auch wenn unser Taxifahrer seine Karre nicht mehr innert nützlicher Zeit zum Laufen gebracht hat, so war er doch so nett, uns ein anderes Gefährt (mit weniger nettem Fahrer) zu besorgen. Wir sind also wohlauf und zurück. Kommt also einfach in Lausanne vorbei! Oder ladet uns ein ;-). Gerne erzählen wir euch noch mehr. Und seid unbesorgt: Michi war in Mumbay noch einmal beim Coiffeur. Haare schneiden, rasieren (mit dem Halsschlitzermesser!), leichte Kopf- und Gesichtsmassage mit Pülverlein und Salben, wie sie seine Gesichtshaut noch nie zu spüren kriegte. 50 Rupies, Sir (CHF 1.40).

 
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